Im Rahmen der Corona-Pandemie wurde die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen mehrfach geändert bzw. entschärft. Zuletzt hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den gestiegenen Energiepreisen noch Änderungen im Rahmen der Überschuldungsprüfung vorgenommen, so dass wir Ihnen den aktuellen Stand der Sach- und Rechtslage kurz zusammenfassen möchten:
Eine Pflicht zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens ergibt sich für die Geschäftsleitung bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes. Dies sind Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung. Die Insolvenzantragspflicht stellt gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 InsO eine strafbewehrte Pflicht der Geschäftsleitung dar, deren Verletzung mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden kann.
Zahlungsunfähigkeit
Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs liegt Zahlungsunfähigkeit regelmäßig vor, wenn ein Unternehmen nicht in der Lage ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden liquiden und liquidierbaren Mitteln innerhalb eines Zeitraums von längstens 3 Wochen 90% seiner fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten zu erfüllen. Liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, so hat die Geschäftsleitung unverzüglich, spätestens aber binnen 3 Wochen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
Zusammenfassung:
90% der fälligen Verbindlichkeiten müssen bedient werden können (Zeitpunktbetrachtung), bzw. 3-Wochen-Zeitraumbetrachtung; Antrag unverzüglich, spätestens aber binnen 3 Wochen.
Überschuldung
Ist eine juristische Person überschuldet, so haben die Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, aktuell spätestens acht Wochen (normalerweise sechs Wochen) nach Eintritt der Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen, § 15a Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO.
Nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten 4 Monaten (normalerweise 12 Monate) überwiegend wahrscheinlich. § 19 Abs. 2 InsO lässt den Vergleich von Vermögen und Schuldenstand jedoch dann als entbehrlich erscheinen, wenn eine Fortführungsprognose zu einem positiven Ergebnis führt. Liegt also eine positive Fortführungsprognose vor, so muss kein Überschuldungsstatus erstellt werden.
Zusammenfassung:
Vermögen deckt die bestehenden Verbindlichkeiten nicht; aber: Fortführungsprognose:
grds. 1 Jahr, derzeit aber 4 Monate; Antragspflicht grds. 6 Wochen derzeit 8 Wochen
Daraus abgeleitet ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:
- Jedes Unternehmen sollte zwingend eine Liquiditätsplanung führen. Eine Pflicht dazu ergibt sich letztlich auch aus dem zum 01.01.2021 eingeführten StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz). Dabei sieht das Gesetz eine ständige Kontrolle der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit anhand einer Liquiditätsplanung über einen Zeitraum von 24 Monaten vor.
- zeigen sich anhand der Planung mittelfristige Liquiditätsprobleme, so kann rechtzeitig vor Eintritt einer akuten Liquiditätskrise (somit Zahlungsunfähigkeit) durch geeignete Restrukturierungsmaßnahmen gegengesteuert werden, wobei dann auch der Weg für ein Schutzschirmverfahren, eine Eigenverwaltung oder ein Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG offen ist.
- ergibt sich aus der Finanzplanung eine kurzfristige Liquiditätslücke, so ist zur Vermeidung einer persönlichen und strafrechtlichen Haftung durch die Geschäftsleitung rechtzeitig ein Insolvenzantrag zu stellen; eine größtmögliche Selbstkontrolle über eine Eigenverwaltung oder ein Schutzschirmverfahren sind dann jedoch nicht mehr möglich, da diese Sanierungsinstrumente genauso wie das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG nur bei Vorliegen einer bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit eröffnet sind.
- ergibt sich bei der Aufstellung des Jahresabschlusses eine Überschuldungsproblematik, so kommt es auf das Bestehen einer positiven Fortführungsprognose an, für die ein Planungszeitraum von derzeit 4 Monaten zugrunde zu legen ist
- ergeben sich für den Steuerberater des Unternehmens bei der Erstellung des Jahresabschlusses Anhaltspunkte für einen Insolvenzgrund (also sowohl Zahlungsunfähigkeit als auch Überschuldung), so trifft diesen eine nunmehr gesetzlich verankerte Hinweis- und Warnpflicht gegenüber seinem Mandanten, § 102 StaRUG. Kommt der Steuerberater dieser Pflicht nicht nach, so trifft ihn selbst eine persönliche Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung. Der Hinweis sollte daher schriftlich und gut dokumentiert erfolgen.
- Bei der Beratung von kriselnden Unternehmen sollte der Steuerberater im eigenen Interesse darauf achten, dass er sein Honorar regelmäßig (mindestens alle 30 Tage) abrechnet, um in den Genuss eines Bargeschäfts nach § 142 InsO zu gelangen und nicht der Gefahr ausgesetzt ist, dass dieses vom Insolvenzverwalter in Nachhinein angefochten wird.
- gerade bei kriselnden Unternehmen sollte unbedingt die Frist zur Aufstellung des Jahresabschlusses eingehalten werden (bei kleineren und mittleren Unternehmen somit der 30.06.), da im Falle eines ggf. notwendigen Insolvenzverfahrens verspätet oder nicht mehr aufgestellte Jahresabschlüsse in der Praxis regelmäßig gegenüber dem verantwortlichen Geschäftsführer als Bankrottdelikte verfolgt und geahndet werden.
- zum 30.06.2023 sind die Schlussabrechnungen für die Corona-Überbrückungshilfen einzureichen; im Anschluss kann es aus zahlreichen Gründen ggf. zu (teilweisen) Rückführungspflichten der Unternehmen kommen, so dass sich daraus ergebende Verbindlichkeiten negativ auf die Liquiditätsplanung auswirken werden. Wenn keine Schlussabrechnung durchgeführt wird, ist davon auszugehen, dass die gewährte Überbrückungshilfe in gesamter Höhe zurückzuzahlen ist.
Sollten Sie hierzu Fragen haben, stehen Ihnen Herr Rechtsanwalt Weidinger und Herr Rechtsanwalt Niebauer gerne zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartner zum Thema
Andreas Weidinger
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht
Restrukturierungsmanager (DGfKM)
Franz Niebauer, LL.M.
Rechtsanwalt
Wirtschaftsmediator (MuCDR)